Immer mal wieder gibt es erschreckende Nachrichten über misshandelte Tiere in wissenschaftlichen Forschungsinstituten. Organisationen wie PETA kämpfen für ein Verbot von Tierversuchen. Warum gibt es eigentlich überhaupt Tierversuche und brauchen wir diese denn überhaupt (noch)? Das möchte ich dir in diesem Artikel beantworten.
Inhalt
Was ist ein Tierversuch?
In Deutschland gibt es das sogenannte Tierschutzgesetz, das unter anderem auch definiert, was ein Tierversuch ist. Ein Tierversuch ist laut dem Tierschutzgesetz ein Eingriff oder eine Behandlung zu Versuchszwecken
- an Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für diese Tiere verbunden sein können,
- an Tieren, die dazu führen können, dass Tiere geboren werden oder schlüpfen, die Schmerzen, Leiden oder Schäden erleiden, oder
- am Erbgut von Tieren, wenn sie mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für die erbgutveränderten Tiere oder deren Trägertiere verbunden sein können.
Außerdem sind Tierversuche Eingriffe, die nicht Versuchszwecken dienen, sondern unter anderem der Gefahrenprüfung von Chemikalien oder der Ausbildung von Wissenschaftler*innen. Dabei ist aber als allererstes festgelegt, dass es so wenige Tierversuche wie möglich geben muss. Außerdem dürfen die Tiere nur soweit leiden, wie es für das Experiment unbedingt notwendig ist. Für Kosmetika darf in Deutschland und in der EU grundsätzlich nicht an Tieren geforscht werden.
In dem Tierschutzgesetz steht auch, wann in der Wissenschaft benutzte Tiere nicht zu den Tierversuchen zählen. Und zwar wenn man ein Tier tötet, um dessen Organe oder Gewebe zu entnehmen. Das macht man zum Beispiel, wenn man bestimmte Zellen eines Organs im Labor weiterzüchtet. Es wird also kein Experiment am lebenden Tier, wie ein Verhaltensexperiment, durchgeführt. Diese Tiere gelten dann als „zu wissenschaftlichen Zwecken getötete Tiere“.
Für Tiere jeder Art, also Nutztiere, Haustiere, Zootiere oder eben auch Versuchstiere ist in Deutschland das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zuständig. Dieses veröffentlicht auch für jedes Jahr die Versuchstierzahlen. Im Jahr 2019 wurden ca. 2,2 Millionen Tiere in Tierversuchen verwendet. Zu wissenschaftlichen Zwecken getötet wurden ungefähr 700.000 Tiere. Bei den Tierversuchen wurden zu 83% Nagetiere, vor allem Mäuse und Ratten, benutzt. Versuche an Affen machen nur einen Anteil von 0,001% aus, das sind insgesamt 3276 Tierversuche. Allerdings werden Affen oft in mehreren Tierversuchen verwendet. Das bedeutet, es wurden nicht 3276 einzelne Tiere benutzt, sondern deutlich weniger.
Eine Zahl über 2 Millionen ist natürlich riesig! Aber im Vergleich zu Nutztieren, also Tieren in der Landwirtschaft ist sie ziemlich klein. Wenn man alle Tiere, die im Jahr 2019 geschlachtet, in der Jagd getötet und in der Wissenschaft verwendet oder getötet wurden, zusammenzählt, macht die Forschung 4% aus. Und dabei wurden Nutztiere wie Milchkühe oder Legehennen, die Lebensmittel produzieren, nicht mit eingerechnet.
Warum benutzt man überhaupt Tiere in der Forschung
Der menschliche Körper ist sehr komplex und viele medizinische und biologische Fragen können nicht direkt am Menschen beantwortet werden. Deswegen werden Tiere als sogenannte Modellorganismen benutzt. Die Tiere stehen also Model für den Menschen. Vor allem, wenn es um das Zusammenspiel von mehreren Organen geht oder um Systeme wie das Immunsystem, welche im gesamten Körper arbeiten, gibt es für die medizinische Forschung kaum Alternativen. Das geht, weil alle Säugetiere, aber auch Insekten die gleichen Vorfahren teilen. Deswegen gibt es zum Beispiel viele Proteine, die in der Fliege und im Menschen fast identisch sind.
Außerdem werden bei Tierversuchen spezielle Eigenschaften von Tieren untersucht. Der Zebrafisch kann zum Beispiel Organe oder auch seine Flosse nachwachsen lassen. Wen man versteht, wie das funktioniert, könnte man das für uns Menschen benutzen. Denn wir können uns im Vergleich dazu relativ schlecht selber heilen.
Letztendlich werden Tiere in der Wissenschaft meistens dazu benutzt, Aufschluss über Mechanismen oder Wirkweisen zu geben, die dann dem Menschen zugutekommen. Deswegen müssen potenzielle Medikamente auch immer erst an Tieren getestet werden, bevor sie an Menschen gegeben werden. Stoffe, die in Tieren gefährlich wirken, werden aus Schutz gar nicht erst an Menschen getestet.
Aber auch in der Veterinärmedizin werden Tierversuche gemacht. Unter anderem wenn bestimmte Tierkrankheiten untersucht oder Medikamente für Tiere selber entwickelt werden. Auch einige Behandlungsmethoden, wie bestimmte Herzoperationen, wurden an Tieren für Tiere entwickelt. Nachdem man den Erfolg dieser Methoden in Tieren gesehen hatte, wurden sie auch bei Menschen angewandt.
Darf man Tieren schaden, um Menschen zu nutzen
Eine der Grundfragen bei Tierversuchen ist: rechtfertigt ein Nutzen für uns Menschen das Halten und Leiden von Tieren? Es gibt Personen, die der Meinung sind, dass wir als Menschen über den Tieren stehen und sie uns dementsprechend zu Nutzen machen können wie es uns beliebt. Dies sehen jedoch viele Menschen anders. Obwohl jede*r von uns Menschen nicht einmal genau versteht, wie andere Schmerzen empfinden und es bei Tieren noch viel weniger wissen, ist allgemein anerkannt, dass Tiere so etwas wie Schmerz empfinden. Da Tiere nicht erzählen können, ob sie Schmerzen haben, muss man das anders bestimmen. Dafür schaut man sich zum Beispiel den Gesichtsausdruck an. Zusammengezogene Brauen gelten wie bei uns Menschen als Schmerzmerkmal.
Tierversuche werden nach Grad ihrer Belastung, wozu auch Schmerzen gehören, in vier Gruppen eingeteilt: leichte, mittelschwere und schwere Belastung und keine Wiederherstellung der Lebensfunktion. In der letzten Gruppe sind die Experimente so belastend, dass sie nur unter Vollnarkose vorgenommen werden, aus der die Tiere auch nicht mehr erwachen. Im Jahr 2019 galten 65% der Tierversuche als leichte Belastung. Das beinhaltet zum Beispiel Blutabnehmen, aber auch das Abschneiden eines kleinen Stückes des Schwanzes bei Nagetieren, um ihr Erbgut zu analysieren.
Dieses Leiden von Tieren wird damit gerechtfertigt, dass wir Menschen einen Nutzen daraus ziehen, zum Beispiel durch bessere Medikamente. Dieser Punkt wird jedoch von Kritiker*innen von Tierversuchen angezweifelt. Es lassen sich nämlich längst nicht alle Ergebnisse, die mit Tieren gewonnen wurden, auf den Menschen übertragen – obwohl wir uns in vielen Punkten ähneln. Selbst zwischen Maus und Ratte, die beide Nagetiere sind, findet man nicht immer das gleiche Ergebnis beim selben Experiment.
Wofür genau werden Tiere in der Forschung benutzt
Bei den Tierversuchen unterscheidet man oft nach dem Forschungsgebiet oder Zweck. Also wofür genau diese Tiere benutzt werden. Es wird unterschieden zwischen:
(die Prozentzahl ist der Anteil an allen Tierversuchen im Jahr 2019)
- Grundlagenforschung 47%
- hier werden allgemeine biologische Mechanismen und Grundlagen untersucht, vor allem zum Thema Nerven- und Immunsystem oder Krebs
- Qualitätskontrolle, Toxikologie und andere Unbedenklichkeitsprüfungen 22%
- gesetzlich vorgeschriebene Untersuchungen, zum Beispiel für die Medikamentenzulassung
- translationale und angewandte Forschung 13%
- Forschung, die einen direkten Nutzen in der Medizin zum Ziel hat, zum Beispiel ein Medikament oder eine Behandlungsmethode
- Erhaltung Kolonien etablierter genetisch veränderter Tiere, die nicht in anderen Verfahren verwendet werden 9%
- da es lange dauert und schwierig ist, Tiere genetisch zu verändern, werden solche Tiere weitergezüchtet, auch wenn sie gerade nicht in einem Experiment benutzt werden
- Aus-, Fort- und Weiterbildung 2%
- Erhaltung der Art und Umweltschutz 7%
Vor allem die Grundlagenforschung wird von Tierschutzorganisationen kritisiert. Grundlagenforschung ist Forschung, die nicht direkt ein Medikament oder eine Behandlungsmethode zum Ziel hat, sondern versucht biologische Mechanismen zu verstehen. Die Erkenntnisse, die dabei gewonnen werden, kommen deswegen nicht direkt zur klinischen Anwendung. Der Antrieb hinter dieser Forschung sei also nicht Menschen zu helfen, sondern wissenschaftliche Neugier. Das reiche nicht aus, um Tierleiden zu rechtfertigen.
Befürwortende von Tierversuchen hingegen sehen das anders. Denn um zum Beispiel eine Krankheit heilen zu können, muss man die genauen Ursachen und Abläufe im Körper verstehen. So ist die Forschung zum Thema Krebs fast immer als Grundlagenforschung eingestuft – denn es geht darum zu verstehen, was genau mit den Zellen passiert. Letztendlich werden diese Erkenntnisse also doch benutzt, um direkt Anwendung am Menschen zu finden.
Am zweithäufigsten sind Tierversuche für Unbedenklichkeitsprüfungen. Zum Beispiel musste der Corona-Impfstoff an verschiedenen Tieren getestet werden, bevor die erste klinische Studie zugelassen wurde. In Mäusen wurde gezeigt, dass der Impfstoff wirkt und in Ratten, dass der Impfstoff nicht giftig ist.
Dies und die angewandte Forschung werden jedoch auch kritisiert. So werden laut PETA 92-95% aller Medikamente, die in Tieren entwickelt und getestet wurden, letztlich nicht zugelassen, weil sie bei Menschen nicht wirken oder starke Nebenwirkungen auftreten. Tiere sind eben nicht Menschen und können deswegen nicht perfekt vorhersagen, wie ein Stoff im Menschen wirkt.
Was gibt es für Alternativmethoden
Tierschutzorganisationen betonen meist, dass es schon längst Alternativmethoden gibt, die Tierversuche ersetzen können. Dass diese aber leider Tierversuche noch nicht komplett ersetzen können, möchte ich euch für Forschung an der Haut erklären.
Haut klingt erstmal nicht sonderlich kompliziert, aber die Haut besteht aus drei Schichten, die alle unterschiedlich aufgebaut sind und andere Zelltypen beinhalten. Dann gibt es noch sogenannte Hautanhangsgebilde: dazu gehören zum Beispiel Haare oder auch Schweißdrüsen, die in der Haut sitzen. Außerdem ist die Haut von Blut- und Nervenbahnen durchzogen. Das Tier, dessen Haut unserer am ähnlichsten ist, ist das Schwein. Die haben zum Beispiel auch kein Fell, nicht so wie Nagetiere. Aber die Größe von Schweinen macht es schwierig, sie als Versuchstiere zu halten.
Wegen der Schwierigkeiten, die Tierversuche mit sich bringen, gibt es schon seit den 1980er Jahren Versuche, Haut im Labor zu „züchten“. Das fing an mit den Zellen, die den Großteil der äußersten Hautschicht ausmachen, den Keratozyten. Dafür entnimmt man einer Person ein winziges Stück Haut und kann diese Zellen im Labor wachsen lassen. Die Zellen haben dann auch noch die gleichen Eigenschaften wie im Körper. Aber das Ganze ist nur zweidimensional, also nur eine Schicht Zellen und es fehlen sowohl die anderen Hautschichten als auch andere Zelltypen.
Deswegen wurden dreidimensionale, also dickere künstliche Häute entwickelt. Diese sind aber auch schon deutlich komplizierter. Zuerst hat man eine Schicht aus anderen menschlichen Zellen in einer Art Gel. Das stellt eine der unteren Hautschichten dar. Darauf werden dann die Keratozyten gesetzt. Das entspricht also schon mehr der natürlichen Haut. Allerdings ist diese „Haut“ zum Beispiel durchlässiger als natürliche und es fehlen immer noch viele Zelltypen und Strukturen, wie die Hautanhangsgebilde oder Blutbahnen.
Diese Modelle werden immer weiterentwickelt und mit neuen Technologien, wie dem 3D-Biodrucker, kann man schon erstaunlich realistische Nachbildungen heranzüchten. Nichtsdestotrotz sind diese Modelle immer noch in der Entwicklung und können bei Forschungen, in denen es gerade um ein Zusammenspiel verschiedener Organe geht, Tierversuche leider noch nicht ersetzen. Eine komplett realistische künstliche Haut mit allen Zelltypen und Strukturen gibt es noch nicht.
Können Tierversuche Ergebnisse im Menschen vorhersagen
Es gibt inzwischen viele Studien, die Ergebnisse von zum Beispiel Medikamenten in Tieren und Menschen vergleicht. Dabei wird deutlich, dass man sowohl Beispiele findet, in denen man genau die gleichen Effekte gefunden hat, als auch Beispiele, in denen ein Medikament im Tier ganz anders gewirkt hat als im Menschen. Bedeutet das also, dass man sich nicht auf Tierversuche verlassen sollte?
Nicht unbedingt – es wird eher deutlich, dass man bessere Forschung mit Tieren braucht, weil die dann auch verlässlicher auf den Menschen zutrifft. Die Anforderungen an Studien mit Menschen sind sehr streng. Zum Beispiel sind sogenannte Doppelblindstudien üblich. Das bedeutet, sowohl die Teilnehmenden als auch die Studienleitung wissen nicht, wer zur Kontrollgruppe und wer zur Experimentalgruppe gehört. Das sorgt für deutlich aussagekräftigere Ergebnisse – denn allein die Hoffnung kann Ergebnisse verändern oder Wissenschaftler*innen dazu verführen, die Ergebnisse anders zu interpretieren. Bei Experimenten mit Tieren wird dies jedoch so gut wie nie gemacht. Damit diese also verlässlichere Ergebnisse liefern, muss die Qualität der Forschung deutlich besser werden.
Ein weiteres Mittel Tierversuche besser interpretieren zu können, sind Metastudien oder systematische Überprüfungen. Dabei werden ganz viele Studien zum gleichen Thema miteinander verglichen. Dadurch können Schwankungen zwischen verschiedenen Tierarten oder auch einzelnen Tieren besser ausgeglichen und die Ergebnisse besser auf den Menschen übertragen werden. Denn das mithilfe von Tierversuchen wichtige Erkenntnisse gewonnen werden konnten, sieht man auch am Nobelpreis für Medizin oder Physiologie. Dieser wurde in 98 von 110 Malen (89%) für Erkenntnisse vergeben, die mithilfe von Tierversuchen entdeckt wurden.
Zusammenfassung
Die Frage, ob wir Tierversuche brauchen ist also vornehmlich eine ethische. Wissenschaftlich gibt es Argumente für Tierversuche (Darstellung komplexer Vorgänge im gesamten Körper), als auch gegen Tierversuche (Tier ist nicht gleich Mensch). Dürfen wir Tieren Leiden und Schmerzen zufügen, um für uns Menschen einen Nutzen daraus zu ziehen? Das muss zunächst jede Person für sich selbst entscheiden. Momentan gibt es jedoch leider noch keine Methoden, die Tierversuche absolut ersetzen können. Allerdings werden die vorhanden Alternativmethoden immer weiterentwickelt und eines Tages ist es hoffentlich möglich auch komplexe Fragestellungen ohne Tiere zu beantworten.
Schreibe eine Antwort