Fragst du dich auch manchmal, ob ein bestimmtes Verhalten oder eine Eigenschaft von dir genetisch veranlagt ist oder ob das durch deine Umwelt beeinflusst wurde? Also zum Beispiel ob es in deinen Genen festgelegt ist, wie risikofreudig du bist. An dieser Frage wird auch in der Wissenschaft schon sehr lange geforscht.
Inhalt
Anlage gegen Umwelt
Die Debatte ist auch bekannt unter dem Namen Anlage vs Umwelt oder im Englischen Nature vs Nurture. Dabei steht Anlage oder Nature für die Erbanlage, also die Gene einer Person. Und Umwelt oder Nurture stehen für die Einflüsse die einer Person aus ihrer Umwelt ausgesetzt ist. Das kann die Ernährung sein oder auch die Erziehung der Eltern.
Früher gab es zwei entgegengesetzte Meinungen: die eine war, dass Verhaltensweisen vor allem durch die Gene beeinflusst werden und die andere, dass Verhaltensweise vor allem durch die Umwelt beeinflusst werden. Heutzutage teilt man die Gründe einer Verhaltensweise aber nicht mehr strikt in Gene oder Umwelt auf. Man weiß inzwischen, dass die Umwelt die Gene beeinflussen und andersherum die Gene beeinflussen, wie wir mit unserer Umwelt umgehen.
Die Anlage vs Umwelt-Frage zieht sich durch fast alle Bereiche der Wissenschaften. Ich werde dir hier einige Beispiel aus unterschiedlichen Gebieten geben. Ein Beispiel, bei dem man sich leicht vorstellen kann, dass sowohl die Gene als auch die Umwelt wichtig sind, ist die Körpergröße. Kinder mit großen Eltern werden häufig auch groß. Andererseits werden Kinder, die nicht genügend Nährstoffe bekommen, nicht so groß, weil sie nicht so gut wachsen. Also ist die Körpergröße sowohl von den Genen als auch von der Umwelt abhängig.
Zwillingsstudien
Um zu testen, ob etwas mehr von den Genen oder von der Umwelt abhängt, gibt es verschiedenste Studien. Häufig werden Zwillinge genutzt um das zu untersuchen. Es gibt zwei verschiedene Arten von Zwillingen: eineiige und zweieiige Zwillinge. Eineiige Zwillinge haben komplett identische Gene. Zweieiige Zwillinge teilen sich ungefähr die Hälfte ihrer Gene, also so wie auch bei normalen Geschwistern. Das heißt, wenn eineiige Zwillinge unterschiedliche Verhalten zeigen, dann muss es an Unterschieden in der Umwelt liegen – sie haben ja identische Gene.
Depressionen
Solche Zwillingsstudien wurden häufig in Bezug auf psychische Erkrankungen benutzt. So hat man sich Zwillingspaare, die zusammen aufgewachsen sind, angeschaut und gezählt, bei wie vielen Zwillingspaaren beide Depressionen haben. Dabei hat man gesehen, dass bei eineiigen Zwillingen (also identischen Genen) häufiger beide Zwillinge Depressionen haben als bei zweieiigen Zwillingen. Die jeweiligen Zwillingspaare sind aber zusammen aufgewachsen, also war die Umwelt zumindest zum großen Teil gleich. Das heißt: bei gleicher Umwelt haben beide Zwillinge häufiger Depressionen, wenn sie identische Gene haben. Daraus kann man schließen, dass Depressionen eine genetische Komponente haben. Aber wie schon vorher gesagt – es liegt nicht ausschließlich an den Genen, die Umwelt spielt auch eine Rolle.
Aggressive Bären
Die Anlage vs Umwelt-Frage gibt es nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Tieren. Einige Tiere, wie zum Beispiel Bären, werden nur von ihrer Mutter aufgezogen, nicht vom Vater. Also bekommen sie zwar ihre Gene zu gleichen Teilen von Mutter und Vater, aber nur die Mutter beeinflusst die Umwelt. In einer Studie wurde untersucht, ob aggressives Verhalten von Bären, wie zum Beispiel ob sie auf Grundstücke einbrechen und Schaden verursachen, genetisch veranlagt ist.
Über doppelt so viele junge Bären werden aggressiv, wenn die Mutter aggressiv ist, als wenn der Vater aggressiv ist. Da aber der genetische Anteil von Mutter und Vater gleich ist, bedeutet das, dass der Unterschied in der Umwelt liegt. Bären zeigen also eher aggressives Verhalten, wenn sie es von ihrer Mutter gelernt, nicht geerbt haben. Das heißt, aggressives Verhalten in Bären wird vor allem durch die Umwelt, nicht durch die Gene beeinflusst. Solche Studien sind auch für Menschen interessant, wenn es um die Frage geht, ob es ein „Kriminalitätsgen“ gibt. Diese Studie spricht zum Beispiel dagegen.
Typisch männlich – typisch weiblich?
Es gibt noch einen anderen Bereich, in dem die Anlage vs Umwelt-Frage viel debattiert wird: ob unterschiedliches Verhalten von Frauen und Männern durch genetische Unterschiede oder unterschiedliche Erziehung ausgelöst wird. Das sind oft sehr hitzige und emotionale Diskussionen und diese Fragen sind nicht einfach zu beantworten. Ich möchte dir hier aber ein Beispiel geben. Der Botenstoff Testosteron wird oft als das ultimative Männlichkeitssymbol dargestellt. Testosteron wird bei Männern in den Hoden produziert und ist eines der sogenannten Sexualhormone. Männer haben durchschnittlich höhere Testosteronlevel als Frauen und das wurde auf die Gene zurückgeführt. Es hieß also: Männer haben biologisch begründet höhere Testosteronlevel als Frauen.
Allerdings wurde inzwischen in sehr vielen Studien gezeigt, dass eher bestimmtes Verhalten zu höheren Testosteronlevel führt als das biologische Geschlecht. Eine Studie hat zum Beispiel untersucht, ob die Ausübung von Macht das Testosteronlevel ändert. Als Machtausübung wurden hier von Schauspieler*innen fiktive Angestellte gefeuert. Dabei hat man herausgefunden, dass sich in Frauen Testosteron nach dieser Machtausübung signifikant erhöht. Und das auch, obwohl die Situation nur gespielt war. Nun ist es aber so, dass in unserer Gesellschaft eher Männer als Frauen dazu erzogen werden, nach Macht zu streben und diese auszuüben. So sind zum Beispiel Mädchen aus reinen Mädchenschulen genauso risikofreudig wir Jungs von gemischten Schulen. Mädchen gemischter Schulen sind dagegen weniger risikofreudig.
Also ist es vielleicht gar nicht so, dass Männer wegen ihrer Gene höhere Testosteronlevel haben und deswegen vermeintlich männliches Verhalten zeigen. Sondern andersherum, Männer werden bestimmte Verhalten anerzogen, wodurch dann die Testosteronlevel steigen.
Zusammenfassung
Abschließend kann man also sagen, dass unser Verhalten eigentlich immer von unserer Erbanlage, also unseren Genen, und von unseren Erfahrungen und unserer Umwelt abhängt. Diese beiden Lager kann man also nicht trennen. Es gibt nur Verhaltensweisen, die etwas mehr von der Umwelt, oder etwas mehr von den Genen beeinflusst werden als andere. Aussagen wie „ich kann nicht anders, das liegt in meinen Genen“ sind also meistens nicht richtig.
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