Stammzellforschung – dieses Wort hast du vielleicht schon einmal gehört. Aber was genau sind Stammzellen eigentlich und was ist das Besondere, aber auch Schwierige an der Stammzellenforschung? Das möchte ich dir in diesem Beitrag erklären.
Inhalt
Definition Stammzellen
Wir Menschen haben unglaublich viele verschiedene Körperzellen: Nervenzellen, Blutzellen, Muskelzellen… Diese sind alle hochspezialisiert auf ihre jeweilige Funktion und ändern sich unter anderem in ihrer Form. Aber ein Mensch entwickelt sich aus einer einzelnen Zelle, die entsteht, wenn Eizelle und Spermium verschmelzen. Diese Zelle muss sich also in alle Zellen des Körpers entwickeln können. Solche Zellen nennt man Stammzellen.
Eine der Hauptmerkmale einer Stammzelle ist, dass sie sich noch nicht spezialisiert hat, sondern in verschiedene Körperzellen entwickeln kann. Man sagt auch: Stammzellen sind undifferenziert. Außerdem können sich Stammzellen unendlich oft teilen. Wenn sich eine Zelle teilt, entstehen zwei Zellen; so wachsen wir zum Beispiel. Spezialisierte oder differenzierte Körperzellen können sich nicht mehr unendlich oft teilen, sie sterben nach ein paar Zellteilungen. Einige Zellen wie zum Beispiel Nervenzellen können sich auch gar nicht mehr teilen. Während der Entwicklung hat ein Mensch am meisten Stammzellen, aber auch im erwachsenen Menschen findet man sie noch.
Stammzellen werden noch weiter unterteilt. Die allerersten Zellen eines sich entwickelnden Menschen sind totipotent (Alleskönner): sie können sich in alle Zellen des Körpers und außerdem in Zellen der Plazenta entwickeln. Denn die Plazenta der Schwangeren besteht aus Zellen von ihr und aus Zellen des Embryos. Nach ungefähr drei Zellteilungen sind die entstandenen Zellen pluripotent (Mehrkönner): sie können sich noch in alle Zellen des Körpers entwickeln, aber nicht mehr in Zellen der Plazenta. Diese Zellen entwickeln sich weiter zu multipotenten Stammzellen (Vielkönner): diese Zellen haben schon eine leichte Spezialisierung in einen bestimmten Gewebetyp, aber es können sich daraus noch unterschiedliche Zelltypen bilden. Dazu gehören zum Beispiel Stammzellen aus dem Knochenmark, die sich in alle Blutzelltypen entwickeln können, die Blutstammzellen.
Eine andere Art der Unterteilung ist in embryonale und adulte Stammzellen. Embryonale Stammzellen sind im Embryo und umfassen die totipotenten und die pluripotenten Stammzellen. Ein Embryo ist ein Organismus in der frühen Entwicklungsphase; beim Menschen ist das von der 4. bis zur 9. Schwangerschaftswoche. Adulte (erwachsene) Stammzellen gibt es im entwickelten Körper und sind multipotent.
Was ist das Besondere an Stammzellen?
Einerseits sind Stammzellen besonders, weil sie sich darauf ein kompletter Organismus entwickeln kann. Aber auch im schon entwickelten Menschen, sind sie sehr wichtig, weil sie eine Art Speicher sind, aus denen sich unser Körper erneuert. Spezialisierte Körperzellen können meist nicht ewig leben, sondern müssen sich regelmäßig erneuern. Nach ungefähr 10 Jahren hat sich zum Beispiel jede Zelle unseres Skeletts mindestens einmal erneuert.
Leider klappt diese Erneuerung aber nicht bei allen Geweben und Organen. Auch wenn wir Stammzellen in fast jedem Organ haben, bedeutet das nicht, dass es einfach nachwächst, wenn es verletzt ist. Deswegen gibt es die Hoffnung Stammzellen im Labor so zu stimulieren, dass sie – wie in der Entwicklung – zu einem Organ wachsen. Das könnte man dann benutzen, um Krankheiten zu heilen, in denen Gewebe oder Organe nicht richtig funktionieren oder ersetzt werden müssen.
Knochenmarkspende
Vielleicht hast du schon einmal von der Knochenmarkspende oder auch Stammzellspende gehört. Diese Methode gibt es schon seit vielen Jahren und bei ihr werden Stammzellen zur Therapie von Leukämie benutzt. Leukämie ist eine Krebsform, bei der sich aus den Blutstammzellen vermehrt ein bestimmter Typ an Blutzellen bildet, die aber nicht richtig funktionieren. Diese fehlerhaften Zellen verbreiten sich und behindern die anderen Blutzellen.
Es gibt Medikamente gegen diese Krankheit, aber wenn diese nicht wirken, bleibt oft nur die Knochenmarkspende als einzige Behandlungsmethode übrig. Die Betroffenen werden zunächst einer starken Chemotherapie ausgesetzt, mit der fast alle Blutstammzellen und auch Immunzellen getötet werden. Dadurch können nicht mehr die fehlerhaften Zellen entstehen, aber es können sich auch generell keine Blutzellen und Immunzellen mehr bilden. Deswegen werden dann gesunde Stammzellen eines*r Spender*in in den Körper gebracht. Aus diesen entstehen neue Blutzellen und Immunzellen und dadurch baut sich ein neues Blutbild und Immunsystem auf.
Damit diese Spende funktioniert, müssen jedoch ganz bestimmte Merkmale der Blutzellen und Immunzellen von Patient*in und Spender*in gleich sein. Ansonsten wehrt der Körper die Spende ab, weil die Zellen als fremd erkannt werden. Weil es unglaublich viele verschiedene Kombinationen dieser Merkmale gibt, findet man für Betroffene auch in der Familie nur in ungefähr 30% der Fälle eine*n passende*n Spender*in.
Deswegen kann sich jede gesunde Person zwischen 18 und 55 Jahren in Datenbanken für die Stammzellspende registrieren lassen. Dafür werden mit einem Wattestäbchen ein paar Zellen der Mundschleimhaut entnommen und auf diese Merkmale untersucht. Diese Informationen werden in den Datenbanken gespeichert und so kann bei Bedarf nach einem*r passenden Spender*in gesucht werden. Auf den Seiten der Stiftung Knochenmark- und Stammzellspende Deutschland findest du noch weitere Informationen zu diesem Thema und wo du dich registrieren lassen kannst.
Warum ist Stammzellforschung umstritten
Die Forschung an Stammzellen hat also ein großes Potential: man kann die Entwicklung eines Menschen besser verstehen und dadurch auch Krankheiten, in denen die Entwicklung gestört ist. Außerdem könnte man Stammzellen benutzen, um gezielt Gewebe oder Organe im Labor zu züchten. Forschung an embryonalen Stammzellen ist jedoch in der Wissenschaft sehr umstritten und war bis zum Jahr 2002 in Deutschland ganz verboten.
Das hängt damit zusammen, dass ein Embryo sich nicht mehr weiterentwickeln kann, nachdem man ihm Stammzellen entnimmt. Es ist umstritten, ab wann in der Entwicklung eines Menschen ein Leben beginnt. Einige Menschen glauben, sobald Eizelle und Spermium verschmelzen, entsteht Leben. Wenn man einem Embryo also Stammzellen entnimmt und er sich danach nicht mehr weiterentwickeln kann, tötet man ein Lebewesen. Deswegen dürfen in Deutschland laut dem Embryonenschutzgesetz keine Embryonen für die Forschung gezüchtet werden.
Embryonen werden vor allem für die künstliche Befruchtung gezüchtet. Dabei wird im Labor die Befruchtung der Eizelle übernommen und diese dann, wenn sie sich zum Embryo entwickelt hat, in die Gebärmutter, der Person, die schwanger werden will, eingesetzt. Da die Befruchtung im Labor aber schwierig ist, wird das mit mehreren Eizellen gleichzeitig probiert. Manchmal klappt es doch bei mehr als einer Eizelle und die überzähligen Embryonen könnten für die Forschung benutzt werden.
In Deutschland gezüchtete, überzählige Embryonen dürfen nicht für die Forschung benutzt werden, aber seit 2002 dürfen embryonale Stammzellen zur Forschung aus dem Ausland importiert werden, allerdings nur unter strengen Regeln. Es gibt die Meinung, dass das schlecht für die deutsche Wissenschaft sei, weil andere Länder mit lockereren Regeln Forschung zu diesem Thema betreiben und wir nicht.
Reprogrammierung von Körperzellen
Im Jahr 2006 wurde etwas geschafft, das bis dahin als unmöglich angesehen wurde: Shinya Yamanaka und seinem Team gelang es spezialisierte Körperzellen in den Zustand einer pluripotenten Stammzelle zurückzusetzen. Dafür wurde ihm zusammen mit John Gurdon 2012 der Nobelpreis für Medizin verliehen. Seitdem ist es möglich im Labor aus Körperzellen Stammzellen zu gewinnen, ohne Embryonen dafür zu brauchen, wodurch die Schwierigkeiten rund um embryonale Stammzellen umgangen werden können. Diese Stammzellen nennt man induzierte pluripotente Stammzellen und mithilfe von Signalstoffen kann man sie dazu bringen, sich in unterschiedliche Körperzellen zu entwickeln. Mit dieser Methode kann man einem Menschen ein paar Hautzellen entnehmen und diese im Labor zu Stammzellen umwandeln.
Organoide: Mini-Organe im Labor
Ein weiterer Erfolg in der Stammzellforschung sind Organoide. Das sind organ-ähnliche Strukturen, die künstlich im Labor hergestellt werden. Dafür nutzt man Stammzellen und setzt sie Signalstoffen aus, damit sie sich in die gewünschten Zellen entwickeln. Diese Zellen organisieren sich dann wie in der normalen Entwicklung im Embryo zu Strukturen, die den menschlichen Organen sehr ähneln. Inzwischen wurden schon diverse Organoide gezüchtet, unter anderem Herz-, Großhirn- oder Darmorganoide. Organoide sind auch deswegen echten Organen ähnlich, weil sie dreidimensional sind. Denn wenn man Zellen im Labor züchtet, hat man normalerweise nur eine zweidimensionale Schicht Zellen.
Diese Organoide haben viele Vorteile. Im Vergleich zu Tierversuchen können damit Prozesse, die es nur im Menschen gibt, untersucht werden. So ist zum Beispiel das menschliche Gehirn so speziell, dass deren Entwicklung nicht wirklich an Tieren untersucht werden kann. Außerdem kann man auch Medikamente daran testen. Da in den Organoiden wie in richtigen Organen unterschiedliche Zelltypen vorhanden sind und diese dreidimensional angeordnet sind, stellen sie die tatsächlichen Bedingungen deutlich besser dar, als wenn man nur einen Zelltyp zweidimensional züchtet.
Allerdings muss bei allen Erfolgen betont werden, dass sich die Organoide noch in der Entwicklung befinden. Im Vergleich zu Tiermodellen und seit Jahren benutzten Zelllinien sind Organoide noch relativ neu. So gibt es noch keine standardisierten Protokolle und jedes Forschungsteam züchtet die Organoide auf eine leicht andere Art und Weise, wodurch man unterschiedliche Ergebnisse oft schlecht vergleichen kann. Die Aufregung rund um Organoide basiert also eher auf ihrem enormen Potenzial und nicht darauf, was bereits tatsächlich erreicht wurde.
Trotzdem ist die Entwicklung sehr spannend und man kann sich vorstellen, wohin es irgendwann einmal führen könnte: so könnte man zum Beispiel einem Menschen, der eine Organtransplantation braucht, ein paar Hautzellen entnehmen, diese im Labor zu Stammzellen umprogrammieren, daraus das gebrauchte Organ züchten und dieses dem Menschen wieder einsetzen.
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